Ich bin am TSB für die Studierendenbegleitung und das Veranstaltungsmanagement zuständig.

Ausgebildet wurde ich vor 20 Jahren als Musical-Darstellerin in Hamburg. Wie ich von der Bühne in die theologische Ausbildung geraten bin, ist eine andere Geschichte. Aufgrund meiner Ausbildung habe ich jedoch zusätzlich zu meinen Aufgaben am TSB im letzten Sommersemester das Modul „Präsenz, Sprache und Rhetorik“ für unsere angehenden Gemeindeerneuerer und Pionierinnen angeboten.

In diesem Blogeintrag möchte ich auswerten, ob sich Erfahrungen, Fertigkeiten und Erkenntnisse aus dem Bereich der Performing Arts für das Setting von Gemeinde und Kirche sinnvoll verwerten lassen.

Es gibt vieles, das hier keinen Platz haben sollte: Das eigene Ego im Scheinwerferlicht, der permanente Leistungsdruck oder der zeitweise Austausch der eigenen Persönlichkeit gegen eine fiktive Figur. Diese Liste wäre beliebig zu erweitern.

Aber wovon können wir lernen?

Sich in Gemeinde und Kirche zu bewegen, bringt zwangsläufig in Situationen der „öffentlichen Rede“.

Redesituationen vor Teams, vor dem Gemeindekirchenrat, in Seelsorgegesprächen, in Bibelarbeiten und Predigten und vor größeren und kleineren Menschengruppen jeglicher Art und an jedem denkbaren Ort gehören dann zum Alltag.

Und wie schön kann das Zuhörer-Erlebnis sein bei einer Person, die natürlich, entspannt, flüssig und nicht zu schnell und in sinnvoller Reihenfolge redet, sich den Zuhörenden zuwendet und einem das Gefühl gibt ganz und gar da zu sein.

Die Auswirkungen des Gegenteils sind meist dramatischer. Man fängt an, die Äh´s und Und´s zu zählen, kann schon nach der Einleitung nicht mehr folgen und findet den/die Redner:in einfach nicht sympathisch und weiß gar nicht, warum. Das von der eigentlichen Botschaft nur noch Bruchteile ankommen, ist der größte Verlust. Denn um DIE Botschaft geht es doch so oft!

Nur 40-45% unserer zwischenmenschlichen Kommunikation geschehen über das gesprochene Wort.

Der größere Anteil ist nonverbale Kommunikation. Und die Reaktion auf diese nonverbale Kommunikation geschieht beim Zuhörenden intuitiv und im Bruchteil von Sekunden.

So kann meine liebevoll und zeitintensiv vorbereitete Predigt am Sonntag dann doch nicht zünden, weil mein Körper und meine Mimik vielleicht etwas ganz anderes sagen und, was häufig noch schlimmer ist, gar nichts sagen.

Der Mund spricht von Paulus und der Rechtfertigungslehre und der Rest des Körpers davon, sich unwohl zu fühlen und lieber schnell fertig zu werden, damit das Ganze dann vorbei ist.

Dummerweise spiegeln wir Menschen dann auch noch andere Menschen. Jede/r hat schon mal gegähnt, weil jemand anderes gegähnt hat. Und so entsteht plötzlich auch bei den Zuhörenden der Wunsch, dass diese Predigt doch schnell vorbei geht. In der Qualität der Kommunikation in Kirche und Gemeinde ist noch viel Luft nach oben, davon bin ich überzeugt.

Nun hatte ich zwölf Einheiten á 2 Stunden Zeit, um meinen Studierenden einen kleinen Werkzeugkoffer mit auf den Weg zu geben.

Und das erste und für mich wichtigste Werkzeug war die Selbsterfahrung. Nur wenn ich verstehe, sehe und fühle, was eigentlich in mir und durch mich geschieht, wenn ich anfange zu reden, gibt mir Zugang zu gelingender Kommunikation.

Es gab Raum zur Selbsterfahrung auf den Ebenen Körper, Emotionen, Gedanken und als Extraeinheit Stimme und Atmung.

Das waren herausfordernde Stunden für einige, da es nun mal nicht zu unserem Alltag gehört, sich auf sich und seinen Atem zu fokussieren, ruhig zu werden, Kleinigkeiten wahrzunehmen und dann auch noch zu benennen, über Gefühle und Gedanken zu reden oder einfach im Hier und Jetzt zu sein. Immer wieder probierten wir Übungen in fiktiven Redesituationen aus und allein das brauchte jede Menge Mut. Das gegenseitige und konstruktive Feedback war das kleinste Problem, da die Gruppe sich gut kannte und mochte.

Im zweiten Teil des Moduls wendeten wir uns der Theorie hinter Kommunikationskompetenz, kommunikationspsychologischer Rhetorik, Körpersprache und Charisma zu und das natürlich in Form von Präsentationen und Vorträgen der Studierenden, die dann nicht nur auf den Inhalt, sondern auch im Hinblick auf die Qualität der Kommunikation ausgewertet wurden.

Reden, reden, reden und reflektieren, was da so alles passiert und auch warum?

Die Arbeit an der Rhetorik eröffnete uns einen Zugang zu jeder einzelnen Persönlichkeit. Wenn ich rede, öffne ich mich und gebe meinen Zuhörenden Zugang zu Informationen über mich selbst, auch wenn ich das gar nicht wollte. Diese Erkenntnis kann anfangs unheimlich sein, ist aber für die Arbeit in Kirche und Gemeinde eine große Chance. Menschlichkeit und Authentizität schaffen Nähe und Vertrauen und das Vertrauen in die Kirche ist heute so unfassbar wichtig, um überhaupt erst die Bereitschaft zu schaffen, sich der Botschaft der Kirche, dem Evangelium, zu öffnen.

Im Abschluss des Moduls bereiteten alle Studierenden eine Rede vor und zwar zu einem Thema oder in einem Setting, das ungewohnt und herausfordernd ist. Es war eine große Freude zu beobachten, wie jede/r Einzelne über sich hinausgewachsen ist.

Weiterbildungen für „Kirchenmenschen“ im Bereich Präsenz, Sprache und Rhetorik haben für mich nicht das Ziel der großen Show und Perfektion, sondern

1. Die Wahrnehmung zu schaffen für die eigene Persönlichkeit mit ihren individuellen Chancen und Risiken.

2. Vermittlung eines Werkzeugkoffers, um durch viel Übung Chancen zu nutzen und Risiken zu minimieren.

3. Und das Wichtigste: Die Förderung des Selbstvertrauens und Selbstbewusstseins des Redenden, damit diese/r den Mut findet, ein menschliches und authentisches Sprachrohr für die beste Botschaft der Welt zu sein.

Die Äh´s und Und´s verkrümmeln sich dann von ganz alleine.

Geschrieben von Carolin Reifenberg